Sybille – Als sich der Zugang zum inneren Kind verschloss und wieder öffnete

Sybille war eine zutiefst hilfsbereite, Frau, die fest im Glauben verankert war. Doch so sehr sie es versuchte – sie konnte sich nicht für ihre eigenen Bedürfnisse einsetzen. Immer wieder wurde sie übergangen, bevormundet, dominiert. Was nach äußerer Gutmütigkeit aussah, war in Wahrheit ein inneres Verbot. Erst durch die Aufarbeitung der Kindheit wurde sichtbar, warum sie sich selbst so konsequent zurücknahm: Ein unbewusstes Gelübde, geboren aus Enttäuschung und Schmerz, hielt sie fest – jahrzehntelang.

8/2/20253 min read

Sybille – Als sich der Zugang zum inneren Kind verschloss und wieder öffnete

Immer wieder begegnen mir Menschen, die das Gebet als spirituelle Praxis in ihrem Leben verankert haben. Sie beten für andere, bitten um Segen oder fühlen sich mit dem Göttlichen verbunden. Doch was geschieht, wenn jemand zwar betet, sein eigenes Herz aber in der Kindheit verschlossen hat?

Meine Wahrnehmung: In solchen Fällen verliert das Gebet an Tiefe. Es wird zu einer geistigen Übung, aber nicht zu einer echten Kraftquelle. Denn der höhere Wille setzt sich niemals über den freien Willen des Menschen hinweg. Wenn ein Mensch einst entschieden hat, sein Herz zu verschließen – vielleicht aus Enttäuschung, Schmerz oder Selbstschutz –, dann wartet das Göttliche, bis diese Entscheidung zurückgenommen wird. Erst dann kann das Licht der Verbindung wieder fließen. Und wenn der karmische Bogen reif ist, kommt oft der Moment, in dem die Seele jemanden trifft, der genau diesen Zusammenhang erkennt. So kam auch Sybille zu mir.

Sybille war eine feinsinnige Frau mit einem tiefen Bedürfnis nach Harmonie – doch sie litt darunter, sich nicht durchsetzen zu können. Seit ihrer Jugend hatte sie ein Muster entwickelt, bei dem sie sich selbst zurücknahm, anderen den Vortritt ließ und kaum für ihre eigenen Interessen eintrat. Sie wurde wiederholt von anderen dominiert, bevormundet oder sogar emotional erpresst. Ein Bruder hielt ihr Erbe zurück. Eine Freundin überredete sie, eine Wohnung weit unter Wert zu verkaufen – aus moralischem Druck. Auch in ihrer Ehe war sie oft diejenige, die zurücksteckte. Ihre Hilfsbereitschaft wurde immer wieder ausgenutzt.

Zwei Schlüsselerlebnisse aus ihrer Kindheit gaben erste Hinweise auf den Ursprung des Musters:

Mit etwa fünf Jahren hatte ihre Mutter ihr fest versprochen, sie aus dem Kindergarten abzuholen. Sybille freute sich sehr – doch es kam wieder die Großmutter. Aus Enttäuschung versteckte sie sich im Kinderhaus. Als die Mutter sie fand, reagierte sie mit Zorn. Der Heimweg wurde zur Demütigung – mit Schimpfen und Schlägen.

Ein halbes Jahr später saß Sybille bei Bauarbeiten auf dem Schoß eines freundlichen Nachbarn, der ihr das Baggerfahren zeigte. Beim Richtfest sagte sie mit kindlichem Stolz: „Wenn ich groß bin, heirate ich den.“ Der Vater reagierte heftig, wurde rot vor Wut, zerrte sie ins Haus und verbot ihr jeglichen Ausdruck. Von da an wurde Sybille stiller.

Was sie in der Sitzung erkannte: Diese beiden traumatischen Erfahrungen führten zu einem unbewussten Gelübde – einem inneren Schwur: „Ich werde mich nie wieder für meine Bedürfnisse einsetzen.“ Diese Entscheidung war mit starkem Selbsthass verbunden. Sie trug sie unbewusst über Jahrzehnte in sich. Als sie begann, dieses Gelübde aufzulösen, zitterte sie am ganzen Körper. Mehrere Anläufe und ein tiefgreifender Vergebungsprozess waren notwendig, bis sich das Energiemuster verwandelte.

Mit der Heilung des inneren Kindes veränderte sich auch ihre spirituelle Erfahrung. Während das Gebet zuvor vor allem im Kopf stattfand, spürte sie es nun im Körper – als Wärme, als Gegenwart, als lebendige Verbindung. Sie erlebte das Gebet nicht länger als Pflicht, sondern als tiefe Hingabe. Eine innere Tür war wieder aufgegangen.

Erkenntnisse für dich – aus Sybilles Geschichte

  • Wenn ein Kind lernt, dass eigene Bedürfnisse zu Ablehnung oder Strafe führen, kann es sich innerlich verabschieden – aus Selbstschutz.

  • Ein solches Rückzugsversprechen wirkt oft unbewusst weiter – als Gelübde, das über Jahrzehnte Beziehungen, Selbstwert und Lebenskraft beeinträchtigt.

  • Auch spirituelle Praxis wie Beten verliert ihre Tiefe, wenn das eigene Herz einst verschlossen wurde – das Licht fließt nur, wo wir es empfangen können.

  • Der Schlüssel liegt darin, alte Entscheidungen rückgängig zu machen – mit Mut, Körperwahrnehmung und Vergebung.

  • Die Heilung des inneren Kindes bringt nicht nur emotionale Entlastung, sondern macht auch den Weg frei für echte Hingabe, innere Wärme und spirituelle Verbindung.


Frage dich:

Vielleicht gibt es auch in deinem Leben einen Moment, an dem du dich innerlich zurückgezogen hast – und nun bereit bist, wieder nach Hause zu kommen.